Wer wird eigentlich gecoacht?

In Wirtschaftsbetrieben, die auf Instrumente einer Personalentwicklung zurückgreifen, kommt eine vorgesetzte Führungskraft auf die Idee, einem Mitarbeiter, der selber auch Führungskraft ist, ein Coaching angedeihen zu lassen. Das scheint zunächst einmal eine wirklich gute Idee zu sein, würde es doch dabei um die Weiterentwicklung eines Mitarbeitenden gehen. Und grundsätzlich wäre daran nichts auszusetzen.


Wenn da nicht ein durchaus kniffeliges Problem im Spiel wäre ...


Aus der Sicht der vorgesetzten Führungskraft scheint der Mitarbeiter nämlich nicht die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Die vorgesetzte Führungskraft hat sich dazu nun auch wirklich alle Mühe gegeben und eine Reihe von Kollegen bzw. Kolleginnen befragt, wie sich denn der Mitarbeiter NN nun machen würde und ob er/sie die in ihn/sie gesetzten Erwartungen tatsächlich erfüllen würde.


In diesem System greift die vorgesetzte Führungskraft offensichtlich auf die Beurteilungen solcher nachgeordneten Führungskräfte zurück, denen er ein objektives und faires Urteil zutraut. Aufgrund von Priming-Effekten (selektive Beurteilung aufgrund von gelenkter Aufmerksamkeit) kommt unsere vorgesetzte Führungskraft nach den Interviews zu dem Schluss, das seine mitarbeitende Führungskraft an schweren Defiziten leide, von denen man nicht wisse, ob diese Defizite überhaupt ausgeglichen werden könnten. Die Haltung unserer vorgesetzten Führungskraft, die ohneschon schon auf eine Geduldsprobe gestellt wird, entwickelt sich gegenüber der mitarbeitenden Führungskraft zu einer überkritischen Haltung, deren Resultat in Gedanken schon die Trennung von der mitarbeitenden Führungskraft umfasst.


Vielleicht könnte nun ein Coaching die mitarbeitende Führungskraft auf den richtigen Weg bringen? Im ersten Briefinggespräch schildert die vorgesetzte Führungskraft nun ausdrucksstark die Ziele des Coachings, die in der Regel eine Einstellungs-, Wissens- oder Verhaltensänderung der mitarbeitenden Führungskraft zum Ziel haben.


In Coachingkontexten stellt sich häufig als schwerwiegende Frage, wer denn hier eigentlich genau zu coachen wäre. Eine klare Antwort ist bei systemischer Betrachtung zu Beginn des Coachings noch gar nicht zu geben. Denn die vorgesetzte Führungskraft steht vielleicht selber so stark unter Stressdruck, dass sie gar nicht in der Lage ist, eine ausgewogene und wohldurchdachte Beurteilung der Lage (Reflektion und Durchdenken der Grundannahmen mit Hilfe des Systems 2, vgl. Daniel Kahnemann, "Schnelles Denken, Langsames Denken", München, 2011) vorzunehmen. Dies kann für das angedachte Coaching zu einem Dilemma für den Coach führen: Die Informationen aus dem Briefinggespräch können ihrerseits wieder zu Priming-Effekten auf der Seite des Coaches führen.


Hier hilft nur große Erfahrung und Souveränität des Coaches sowie seine fachliche Kompetenz, solche Priming-Effekte zu erkennen und sich von ihnen nicht beeindrucken zu lassen. Gleiches gilt analog für Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene.


Eine sehr gute Auflösung dieses Dilemmas ermöglicht das Tandem-Coaching. Im Tandem-Coaching werden beide Führungskräfte, Chef und Mitarbeiter, in einem gemeinsamen Coachingprozess begleitet, der sich zunächst mit der Auflösung der wechselseitigen Vorbehalte befasst. Erst wenn die wechselseitigen Befindlichkeiten und inneren Haltungen und insbesondere das Beziehungssystem dieser Diade aufgearbeitet und verflüssigt wurden, kann sich der Coach dem eigentlichen "Kernproblem" nähern.


Wenn es sich dann nicht schon bereits verflüchtigt hat ...


Sprechen Sie mich sehr gerne an, wenn Sie weitere Informationen oder Unterstützung wünschen. Sehr gerne berate ich Sie dann zu verschiedenen Möglichkeiten des Settings für ein Coaching.


Mit den besten Wünschen für eine agile Führungsarbeit


Ihr


Klaus-Dieter Schulz


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